FRONT ROW

von Antonio Lilliu

‘DRINGEND GESUCHT: HOMME FATALE!’

Dringend gesucht - HOMME FATALE!

Am Ende der Modenschauen der Fashion Week in Paris BOF, das englische Magazin für die Mode-Insider, kommentierte die Herrenkollektion von Ralf Simons für Dior, wie folgendes: "EIN GUTER ALPTRAUM IST IMMER BESSER ALS EIN SCHLECHTER TRAUM."

Unter Tragödie, Drama und Komödie befindet sich ein kleineres Genre noch: die Chronik. Die Mode entschied sich diese Saison, die Chronik über einen verwirrten Mann aufzuzeichnen, welcher den Verlust der Hauptrolle der Realität betrauert, der sich von den Lügen aller Regeln verraten fühlt, welcher nach dem Zufallsprinzip Luxus und Trash mischt, auf der Suche nach einer neuen Identität. Das ist der Alptraum: Ein Guter, weil durch die Verweigerung, in die Kuschelige des Traums Zuflucht zu nehmen, aus diesem schmerzhaften Wachstumsprozess endlich ein neuer Mann geboren wird.

Ob es ein Ausweg aus der Krise sowie eine Perspektive zum gelungenen Leben für den Mann gibt konnte der Salon de la Lingerie in Paris nichts sagen. Die Herrenausstellung der SIL Messe sprach weder von Alpträumen noch von Träumen, höchstens über einen tiefen Schlaf, aus dem man ohne jegliche Erinnerungen aufwachen würde.

Das Marktvolum von Herrenwäsche schrumpft seit Jahren. Es ist wahr, dass der starke Wettbewerb die eine oder andere Marken abwechselnd belohnt, aber immer auf Kosten anderer, wie unzähligen Marktanalysen bestätigen. Multi-Marken-Geschäfte räumen immer weniger Platz für Herrenunterwäsche ein, bis sie das Angebot irgendwann verschwinden lassen, oft kurz bevor sie selber verschwinden: ein Phänomen, das leider in ganz Europa stattfindet. La Rinascente in Mailand, KaDeWe in Berlin, Harrod‘s in London sowie Galeries Lafayette in Paris sind die letzte Paradiese für Kunden auf der Suche nach einem echten shopping-Erlebnis im Wäschebereich. Alles andere ist …. virtuelle Erfahrung, eine Art künstliches Überlebens, das die glorreiche Vergangenheit der Branche nicht wiederbeleben kann. Apokalyptische Aussichten für Herren-Unterwäsche breiten sich auf alle Fronten aus!

Was machen die Marken dann, um Endverbraucher zum Kaufen zu motivieren, und mit ihrem USP mit Kunden in Dialog zu treten?

Die meisten Spezialisten, fliehen in die gemütlichen Trugbilder ihrer Komfort-Zone, nach dem Motto lieber immer akribischere Absatz-Analyse zu führen, und Abwarten, dass irgendwelche Algorithmen, ihre künftige Markt- sowie Produktstrategie definieren.

Im Gespräch mit Presse und Kunden habe ich oft erklärt, dass der Markt der Herren-Unterwäsche heutzutage keine Revolution erfordert, sondern Innovation.

Echten Innovationen sind oft weit bahnbrechender als viele sogenannte Revolutionen: die Oktober-und die Französische Revolution führten zu politischen Fanatismus und Terror-Regime mit viel dramatischeren Ergebnissen als die Ungleichheiten, die sie kämpfen wollten. Die Dior-Revolution in der Mode brachte der Frauen wieder Korsett und Krinoline, wie im alten Zeiten der Rococó Königin Marie-Antoinette.

Angesichts der Mangel an Visionen und Ambitionen, setzten viele Markenunternehmen einfach auf das Glück eines Image-Faceliftings, und graben heraus aus den Archiven alte Schätzchen die sie als Ikonen umbenennen.

Vier Schlüsseltrends kristallisieren sich in dem Herrenwäsche-Markt heraus.

Der langweilige Luxus: Es scheint fast unmöglich Qualität der Garne, der Gewebe und der Passform in der Werbung zu kommunizieren, einfacher ist es, Klasse und Wohlstand der Zielgruppe als Gegenpol zum Sex-Appeal und Jugend darzustellen. Zu diesem Zweck wird männliche Schönheit mit ein paar Falten, grauen Haaren und gepflegten Bart präsentiert. Wenn man merkt, dass der Alterungsprozess der Kundschaft indirekt proportional zum Umsatzrückgang wird, reagiert man mit einem 20-Jahre jüngeren Model, eine Prise Tattoo hier und da, einer attraktiven Frauen-Präsenz in einem Design-Umfeld. Eine Ausnahme ist die Marke LA PERLA, welche sich als exklusive Marke im Herren-Wäschebereich, auch, neu positioniert.

Der Joker: Comics, Witze und provokative Drucke sind die Zutaten des Joker-Stils, mit lustigen Effekten nur für Minderjährige!

Sex-Bombe: AussieBum ist die einzige Marke die neulich eine moderne, hedonistische und übersexualisierte Ästhetik der Männlichkeit im Wäschebereich wiedererfunden hat. Dies ist das Erfolgsrezept der Marke geboren an den Stränden von Australien, die die Underwear mit Swimwear-Akzenten kontaminiert, und intime Inspirationen in Swimwear verwandelt. Der internationale Markterfolg der Marke in den letzten fünfzehn Jahren macht aus ihr den Nachfolger vom HOM der 70r Jahren, vom Nikos aus den 80r, vom Calvin Klein der 90r. Der AussiBum-Mann ist die Projektion des Beef-Cake aus der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts, eine äußerst ästhetischer Kunstwerk von Gym und Photoshop.

Der dritte Frühling: während und nach der Andropause legen nicht weniger Männer seltsamen Verhalten an den Tag. Strings, transparente Wäsche, Leo-Prints usw. sollten als Exorzismus gegen die Unaufhaltsamkeit der Zeit dienen, der letztendlich die innere Verletzlichkeit des Trägers verrät, anstatt aus ihm ein Alpah-Tier zu machen.

Der Casual Kunde: der Begriff von Casual ist in der Mode längst berüchtigt. „Zufällig“ heißt es nur, dass der Kunde kein Interesse an Mode hat, und rein bedarfsorientiert kauft. Paradoxerweise gehören zu dieser Kategorie auch die Zahlreiche Kunden von Design-Unterwäsche, die grundsätzlich ein Gummiband mit Logo erwerben. Viele Marken, die einen ästhetischen Main-Stream-Geschmack pflegen, sind im Wesentlichen aufgrund von Preis und Funktionalität auf dem Markt positioniert. Ein nettes, dezent modernes Image dient dazu, die Kundschaft nicht zu polarisieren.

Mann zu sein ist alles anderes als ein Rosenbett aber es ist immerhin unvermeidlich. Dies zu verstehen, das ist die Herausforderung für moderne Underwear-Marken jenseits veralteter Männer-Stereotype. Der Markt folgt eine eigene Logik, welche bestätigt, dass Männer keine schlechte Kunden sind, wie das Geschäft mit Herren-Mode zeigt. Männer auch wollen Neuheiten, im Wäschebereich auch.

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