FRONT ROW

von Antonio Lilliu

CLASS DETECTORS: Diamanten und High-Heels.

‘SCHÖNHEIT nach Maß: Das LEGO-Prinzip’

Anfang dieses Jahres präsentierte die Stiftung Palazzo Strozzi in Florenz die Ausstellung "Divine Beauty", ein Exkurs über Schönheit im Rahmen der Kunst und der Religion zwischen Mitte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese einzigartige Kunstausstellung zeigte italienische Meisterwerke von Domenico Morelli, Emilio Vedova und Renato Guttuso sowie internationale Malereien von Vincent van Gogh, Picasso und Chagall, um nur einige zu nennen.

Für Ästheten und Kunstliebhaber ist es mehr als legitim zu hinterfragen, ob Schönheit etwas Göttliches an sich hat. In der Tat scheint Schönheit mehr und mehr eine pragmatische Frage geworden zu sein: sie ist demokratischer geworden, politisch korrekt, fast opportunistisch könnte man meinen.... aber das ist nicht verwunderlich, denn sie ist seit immer gewohnt, ausgebeutet zu werden, selbst die " göttliche ". Die Schaffung der Pyramiden und des Davids von Donatello wurden aufgrund sehr pragmatischen Ziele in Auftrag gegeben, als die reine Schönheit zu huldigen.  Die Ideologien ihrer Gönner sind längst überholt, das einzige was von Ihnen noch lebt sind diese Meisterwerke die göttlich erscheinen, weil sie die Ewigkeit herausfordern.

Alte Meister wie Phidias, Botticelli, Michelangelo und viele andere waren überzeugt, dass menschliche Schönheit der höchste Ausdruck von Gottes Kreativität sei. Für die Kunst der Modernen ist Schönheit eine Nebensache, lieber widmet sie sich zu philosophischen Spekulationen sowie kognitiven Prozessen der Realität, um die inneren Welt des Betrachters abzubilden anstatt seine Äußerlichkeit. Kein Wunder dann wenn diese innere Abbildung eher "abstrakt" aussieht.

Wissenschaften wie Chemie, Soziologie, Ethnographie, Psychologie und Genetik bieten heutzutage umfassende Antworten auf die Frage "WIE KOMMT MAN AUF EINE BEWERTUNG DER SCHÖNHEIT ALS SOLCHE?", während die ästhetische Medizin und Schönheitsindustrie behilflich sein können, die Gottesschöpfung zu vervollständigen. Yellow Press, Filme, Art-Directors und Fashion Designer haben von der Kunst die schwierige Aufgabe geerbt, zu propagieren "WIE SCHÖNHEIT AUSZUSEHEN HAT". Letztlich ist Marketing das die Schönheits-Diktate auf die Eigenschaften von Kundengruppen zuschneidet, um diese gezielt zu werben.

Da Schönheitsideale mehr und mehr auf die Bedürfnisse von Market-Segmenten angepasst werden, sind sie auf bescheidenere Ziele fokussiert, als der Sphinx oder die Moden-Kreationen von Monsieur Christian Dior.

Die Welt der Popmusik ist das profane Paradigma des modernen Kults der Schönheit, das ihre Verirrung verewigt: ohne Namen zu nennen, können wir uns eine fiktive Figur vorstellen, die alle Pop-Ikonen der letzten 20 Jahre zusammenfasst: Lassen Sie uns sie Miss BlaBla nennen! Einmal sehen Sie sie verkleidet als biedere Gospel-Choristin in einer neo-gotischen Beton-Kirche in New Orleans, dann zurück zum Rap singt sie in Chaps' Fummel in einem Open-Air-Konzert in der Bronx, danach spaziert sie im glamourösen Eli Saab Abendkleid auf dem roten Teppich bei der Amy Award, wobei sie sich das nächste Mal als Trucker-Braut im Adidas Leggins und Sport-BH mit ihrem Alter Ego Susy-of-the-block auf einem Supermarkt-Parkplatz schlägt... Sie haben es erraten: das ist CUSTOMIZED BEAUTY! So surrealistisch wie ein Photoshop-Spiel mit dem Meisterwerk von Leonardo LA GIOCONDA: Sie können sie mit glattem Haar, Pony-Frisur, weiche Locken, Permanent, platinblond, mit Glatzkopf haben, sowie als Punk oder Goth, mit Jump-Kleid, Burka oder in Domina-Look... ganz nach ihrem Geschmack, wie mit einem LEGO-Spiel. Es handelt sich immer um die gleiche Dachmarke aber nach ihrem Kunden-Profil personalisiert. Dank You.tube ist das Produkt überall und rund um die Uhr verfügbar. Dabei kann sie Sie nie enttäuschen, solange Sie über HD verfügen; falls nicht, sind Sie selber schuld. Was sagen Sie? …ist es nicht real? …vergessen Sie Schopenhauer! Da müssen Sie schon mit besseren Argumente kommen.

Schauen Sie sich die Millionen ihrer Anhänger von Ulan Bator nach Washington DC vereint durch „Miss BlaBla ALS KLEINSTER GEMEINSAMER NENNER“. Was eine solche Community denkt ist viel realer als das Gravitationsgesetz. Der Aufbau einer Gemeinschaft von FANS, von pazifistischen Weltbürger vereint über den gleichen Geschmack, Einstellungen und Interessen ist das ultimative Ziel des Weltfriedens…ganz anders als Menschen zu teilen, wie Religionen, Politik und Wirtschaft noch tun.

Auch Modemagazine müssen die Versuchung widerstehen, Partei zu ergreifen, wenn Sie ihre Werbekunden halten möchten, und gleichzeitig Fashion New-Comers anpeilen. Daher diktieren sie mit Salomons Aplomb, dass ... das ist schön, aber das andere ist auch wunderbar: 'Schauen Sie, wie unglaublich Prada ist! Aber verpassen Sie nicht Ferragamo, dass wird mehr und mehr avantgardistisch! Yoshi Yamamoto erfindet das neue Klassik, wobei Balmain einfach ein Muss für die selbstbewusste Geschäftsfrau ist “. Rossy de Palma, eine spanische Schauspielerin die der Regisseur Pedro Almodovar Ende der 80er entdeckte, wurde als "Picassos Beauty" gefeiert: ein journalistischer Euphemismus, um ihr Typ schmeichelhaft zu beschreiben. Es ist bekannt, dass Picassos Frauen keine Schönheiten sind, aber nur die in seinen Bildern. Im wirklichen Leben hatte Picasso eine Schwäche für extrem schöne Frauen wie Dora Maar, Marie-Thérèse Walter, Jacqueline Roque, etc. So versuchen uns die Medien zu überreden, dass jeder schön, und alles erlaubt ist; dass das Wohlfühlen reicht, um cool zu sein; dass Alter nur eine Frage der Einstellung ist ... Hauptsache, wir folgen unsere Stimmung, dass wir einfach sind wie wir sind! (Aber, was sind wir überhaupt? ... Nur wenige von uns können diese Frage ohne Zögern beantworten!) ... Also Alles ganz easy!

Zugegeben: Wenn alles so “EASY“ wäre …Warum unterhalten wir uns unaufhörlich um solche Selbstverständlichkeiten? Warum unterhalten die Kunden die Konsum-Wirtschaft?  Warum unterziehen sich Millionen von Menschen, jener Billionen ästhetischer Behandlungen, die fortwährend auf der Welt stattfinden?

Genauso wie jede Religion über einen eigenen Verhaltens-Code verfügt, verbreitet heute die Mode den Kult der “COOLNESS“. Schönheit soll auf jeden Fall “mühelos“ aussehen… und das bringt neue Regeln in Spiel, die weit undurchsichtiger sind als Stil-Vorgaben. Fazit: der Untergang von festen Regeln in der Ästhetik, die idealerweise mehr Freiheit bieten sollte, bewirkt letztendlich noch mehr Verwirrung um den eigenen Selbstwert. Alleine di Millionen von Selfies die im Netzt rund um die Uhr schweben, sind ein Beweis der Sucht nach Fremdakzeptanz.

Auch die visuelle Kommunikation wird mehr und mehr abhängig von WEB-Algorithmen. Für Werbekampagnen werden neulich Gesichter gebucht aufgrund der Anzahl an 'Instagram Followers“, unbeachtet ob sie zur Marke passen oder nicht. Hier ist die Gleichung „Follower=potentieller Kunde“ fraglich.

Und dann ... ist Schönheit wirklich göttlich? Nun, das ist die falsche Frage an die richtige Antwort: "Gott ist eine Idee, jenseits von Gut und Böse, er fragt sich nicht, ob er" göttlich "ist oder nicht: das ist unser Dilemma. Er ist, was er ist, und kann nichts anders; er braucht nichts, nicht einmal Schönheit. Wir sind diejenigen, die Schönheit brauchen, auf der Suche nach Beweise über die Unendlichkeit. Schönheit ist mehr als nur eine optische oder akustische Information; sie ist eine instinktive Auswertung des Betrachters, die keine Erklärung und keine Intervention des Bewusstseins erfordert."

Vielleicht wird es nie Gewissheit über die Existenz Gottes geben, ohnehin jeder weiß, dass Schönheit existiert, und sie in der Lage ist, starke Emotionen hevorzurufen. Wir könnten sie göttlich nennen, wie es uns gefällt.

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